Berlin. Der US-Präsidentschaftswahlkampf ist zur traurigen Arena von zwei Gerontokraten geworden. Warum hat das Land kein besseres Spitzenpersonal?

TV-Duelle zwischen dem Präsidenten und seinem Herausforderer sind in Amerika traditionell Politknüller ersten Ranges. Doch beim ersten Fernsehwettkampf zwischen Amtsinhaber Joe Biden und Gegenspieler Donald Trump handelt es sich um das Zusammentreffen zweier Politdinos, deren Zeit für den Spitzenjob im Weißen Haus eigentlich vorbei ist.

Das Publikum fragt sich: Verliert der 81-jährige Biden den Faden und nuschelt sich ins intellektuelle Nirwana?

Oder driftet der 78-jährige Trump in einer Nonsensspirale ab und schäumt vor Rachsucht? Das Kräftemessen um die Zukunft der Vereinigten Staaten – und der Welt – ist zur traurigen Arena von zwei Gerontokraten geworden. 

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Nicht nur durch Deutschland geht ein kollektiver Stoßseufzer. Viele fragen sich: Hat Amerika kein jüngeres, dynamischeres, qualifizierteres Personal zur Auswahl für das Präsidentenamt? Doch, hat es. Bei den Demokraten gibt es erfolgreiche Gouverneure in den Bundesstaaten – zum Beispiel Gretchen Whitmer in Michigan oder Gavin Newsom in Kalifornien.

Doch Biden, der sich ursprünglich als „Brücke zwischen den Generationen“ begriffen hatte, machte aus Sturheit weiter. Nun ist es zu spät für einen Wechsel. Und die einst stolze Partei der Republikaner hat sich in die freiwillige Abhängigkeit von Trump begeben.

Tatsache ist: Für die Amerikaner zählen Fakten weniger als Emotionen

Die USA, immer noch Führungsmacht des Westens, weisen ein merkwürdiges Paradox auf. Einerseits sind sie die älteste Demokratie der Welt – ihre Verfassung wurde im Jahr 1787 verabschiedet, zwei Jahre vor der Französischen Revolution. Darüber hinaus verfügt das Land über eine der kraftvollsten Volkswirtschaften. Es hat kreative Köpfe wie Apple-Mitgründer Steve Jobs oder Microsoft-Ikone Bill Gates hervorgebracht, die ihre Milliardenunternehmen zunächst in Garagen aufgebaut haben. 

Andererseits erscheint das Wahlsystem nicht lupenrein demokratisch. Bei der Präsidentschaftswahl werden nicht die Stimmen der mehr als 250 Millionen wahlberechtigten Amerikanerinnen und Amerikaner addiert. Da das Land in demokratische und republikanische Blöcke aufgeteilt ist, sind die Stimmen in wenigen heiß umkämpften Bundesstaaten („battleground states“) ausschlaggebend. Hinzu kommt, dass jeder Präsidentschaftskandidat eine Wahlkampfmaschinerie mit vielen Milliarden Dollar benötigt.

Michael Backfisch ist freier Autor für internationale Politik.
Michael Backfisch ist freier Autor für internationale Politik. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Darüber hinaus gibt es in den Vereinigten Staaten eine Hinwendung zu Politdynastien. John F. Kennedy war Präsident, seine Brüder Robert und Edward Justizminister und Präsidentschaftskandidat beziehungsweise Langzeit-Senator. Bill Clinton war Präsident, seine Frau Hillary scheiterte im Kampf ums Weiße Haus an Donald Trump.

George H.W. Bush war ebenso Präsident wie sein Sohn George W., dessen Bruder Jeb fiel bei den Vorwahlen der Republikaner durch. Es ist wohl kein Zufall, dass Michelle Obama, die Ehefrau von Präsident Barack Obama, von den Demokraten immer wieder als Wunderwaffe für das Weiße Haus bezeichnet wurde – sie winkte jedoch ab.

Diese Tendenz zum „Monarchismus“ läuft dem Anspruch der USA als Leuchtturm der Demokratie entgegen. Dahinter steckt wohl auch der Hang zu Glamour, Ruhm und Stars. Die Traumfabrik Hollywood wurde nicht zufällig in Amerika erfunden. 

'Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Zwar geht es 2024 nicht um eine neue Familienherrschaft. Tatsache ist aber: Für die Amerikaner zählen Fakten weniger als Emotionen. Hinzu kommt in den letzten Jahren die Macht der sozialen Medien mit ihren Verschwörungstheorien und Wellen von Hass und Wut. Für die Präsidentschaftswahl am 5. November und für die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie bedeutet das nichts Gutes.  

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