Herzogenaurach. Klubpartner statt Bayernblock: Bundestrainer Nagelsmann setzt bei der Heim-EM auf eine neue Philosophie. Ukraine als erster Testlauf.

Auf dem Gelände des Homegrounds in Herzogenaurach stehen 15 Holzhäuser mit je vier Zimmern. Verbaut mit Holz aus der Region. Hier wohnen die Spieler und Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor und während der Europameisterschaft in den kommenden Wochen. Bundestrainer Julian Nagelsmann hatte sich bei der Verteilung der Bungalows eine besondere Gruppenbildung ausgedacht. Die Nationalspieler wurden positionsspezifisch aufgeteilt, wie Joshua Kimmich am Samstag verriet.

Der Rechtsverteidiger des FC Bayern München teilt sich daher ein Holzhaus mit den anderen Außenverteidigern Maximilian Mittelstädt, Benjamin Henrichs und David Raum. In einem Nebenhaus wohnen die Innenverteidiger, in einem anderen die vier Torhüter.

Am Montag im vorletzten Testspiel gegen die Ukraine in Nürnberg (20.45 Uhr/ARD), am Freitag im letzten Testspiel gegen Griechenland in Mönchengladbach (20.45 Uhr/RTL) und bei der am 14. Juni beginnenden EM setzt Nagelsmann dann aber nicht auf Gruppen-, sondern auf Pärchenbildung. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Nationalmannschaft aus einem großen Bayernblock bestand.

2014 wurde Deutschland mit einem starken Bayernblock Weltmeister

So wie 2014, als Deutschland mit dem Münchner Sixpack aus Manuel Neuer, Philipp Lahm, Jerome Boateng, Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos und Thomas Müller Weltmeister wurde. Oder 2022 in Katar, als der teaminterne Neid um den Münchner Siebener-Block dagegen als eine der Ursachen für das Vorrunden-Aus galt. Und diesmal?  

„Wir brauchen keinen Block von Spielern, die sich seit Ewigkeiten kennen“, sagt Nagelsmann zehn Jahre nach dem bislang letzten großen Titel. „Ich finde es immer gut, wenn man eine Pärchenbildung auf dem Platz hat, damit der Nebenmann oder Vordermann immer genau weiß, was sein Partner macht und es eine klare Rollenverteilung gibt.“ Vereinspartnerschaften auf naheliegenden Positionen also anstelle von eingespielten Innenverteidiger- oder Sturmduos.

Die königlichen Tonis: Toni Kroos wird nach Real Madrids Triumph in der Champions League von seinem Teamkollegen Antonio Rüdiger auf Händen getragen.
Die königlichen Tonis: Toni Kroos wird nach Real Madrids Triumph in der Champions League von seinem Teamkollegen Antonio Rüdiger auf Händen getragen. © DPA Images | Joe Giddens

Eine diese Partnerschaften wird aus den beiden Tonis bestehen. Toni Kroos und Antonio Rüdiger, die mit Real Madrid am Wochenende die Champions League gewannen, werden auch in der Nationalmannschaft bei der EM ein zentrales Pärchen bilden. Gleiches gilt für die Leverkusener Jonathan Tah und Vordermann Robert Andrich, die sich nicht nur außerhalb, sondern auch auf dem Platz bestens verstehen. Andrich wiederum bildet mit dem vor ihm agierenden Florian Wirtz gleich noch ein zweites Bayer-Pärchen.   

FC Bayern München stellt die größte Fraktion beim DFB

Mit Neuer, Kimmich, Müller, Jamal Musiala, Leroy Sané und Aleksandar Pavlovic stellt der FC Bayern zwar erneut die größte Fraktion im DFB-Team, doch nur drei von ihnen (Neuer, Kimmich, Musiala) werden in der Startelf stehen. Diese agieren auf dem Platz auch nicht in direkter Nachbarschaft.

„Es geht um Automatismen, nicht um den reinen Bayern-Block. Diese Automatismen, die gerade bei Stuttgart, Leverkusen, Real Madrid oder Borussia Dortmund gut laufen, werden die Jungs dann auch hier mit hinbringen“, sagte ausgerechnet Müller, der seit 2010 immer Teil eines starken Bayern-Blocks war.

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Als Joker soll Müller bei der EM aber nicht nur Müller sein, sondern etwa auch ein Münchener Offensivpartner für Musiala, dessen Laufwege er aus dem Club besser kennt als der Bundestrainer. Nagelsmann hat bei der Kaderzusammenstellung gezielt darauf geachtet, dass auch die Spieler auf der Bank zur potenziellen Pärchenbildung beitragen können.

Chris Führich und Maximilian Mittelstädt als VfB-Pärchen

„Wenn Chris Führich eingewechselt wird und Maxi Mittelstädt links hinter ihm spielt, haben die das in Stuttgart 34 Spieltage so gemacht und verstehen sich blind“, sagte Nagelsmann über seine Idee, die vor allem dann wichtig werden könne, wenn der Gegner oder die eigene Mannschaft müde werde. „So können wir auch noch mal Elemente und Impulse reinbringen, wo es ein blindes Verständnis gibt und die Dinge total eingeschliffen sind“, so Nagelsmann.

Experimentieren wird der Bundestrainer so kurz vor der EM in den Testspielen nicht mehr. Für die abwesenden Madrilenen werden am Montag gegen die Ukraine Stuttgarts Waldemar Anton und Brightons Pascal Groß eine Chance bekommen. Auf seine EM-Elf hat sich Nagelsmann aber im Grunde schon festgelegt – genau wie zuvor auf die Holzhaus-Verteilung im Teamquartier.

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Dass es durch die Vierergruppen in den Bungalows zu einer Grüppchenbildung kommt, wie es sie bei den WM-Enttäuschungen 2018 und 2022 gab, ist in jedem Fall ausgeschlossen. „Jedes Zimmer hat seinen eigenen Eingang“, verriet Kimmich mit einem Lächeln, „da hat man gar nicht so viel miteinander zu tun.“  

Die voraussichtlichen Aufstellungen

Deutschland: Neuer/Bayern München (38 Jahre/117 Länderspiele) - Kimmich/Bayern München (29/84), Tah/Bayer Leverkusen (28/23), Anton/VfB Stuttgart (27/1), Mittelstädt/VfB Stuttgart (27/2) - Andrich/Bayer Leverkusen (29/3), Groß/Brighton & Hove Albion (32/5) - Musiala/Bayern München (21/27), Gündogan/FC Barcelona (33/75), Wirtz/Bayer Leverkusen (21/16) - Havertz/FC Arsenal (24/44).

Ukraine: Buschtschan/Dynamo Kiew (30/17) - Konoplja/Schachtar Donezk (24/12), Sabarnyj/AFC Bournemouth (21/34), Matwijenko/Schachtar Donezk (28/63), Mykolenko/FC Everton (25/39) - Sintschenko/FC Arsenal (27/60), Braschko/Dynamo Kiew (22/2), Sudakow/Schachtar Donezk (21/14) - Malinowskyj/FC Genua (31/59), Mudryk/FC Chelsea (23/18) - Dowbyk/FC Girona (26/25).