Hamburg. Albanien und Kroatien trennen sich 2:2. Der eingewechselte Budimir bereitet zwei Tore vor. Gjasula schlägt nach Eigentor zurück.

Es dauerte ein paar Minuten, ehe Klaus Gjasula am späten Mittwochnachmittag mit nacktem Oberkörper durch die Katakomben des Volksparkstadions spazierte. Ein Jahr lang hatte er hier, beim HSV, mehr schlecht als recht gespielt. Und nun, nach seinem Eigentor und seinem anschließenden Nachspielzeit-Tor zum 2:2 für Albanien gegen Kroatien, wollten die bereits wartenden Reporter nur mit ihm sprechen.

„Ich kann das noch nicht so richtig realisieren, das waren krasse Momente für mich“, sagte der Protagonist des Tages, als er schließlich frischgeduscht mit einer Pizza in Richtung Bus spazierte. „Ich hatte hier immer verrückte Spiele mit dem HSV, aber das war tatsächlich mein erstes Tor im Volksparkstadion.“

Gjasula war für Albanien der Held des Tages

Was für ein Tor, was für ein Spiel, was für ein verrückter Fußballnachmittag im ausverkauftem Volkspark. Dabei hatte dieser stimmungsvolle Mittwochnachmittag für Gjasula und Co. mit einer frühen Enttäuschung begonnen. So verriet ein Blick auf die Anzeigentafel, dass es nach quälend langen 23 Sekunden zwischen Albanien und Kroatien im zweiten Spiel der beiden Mannschaften in der Gruppe B tatsächlich noch immer 0:0 stand.

EM 2024: Albanien schoss erneut ein schnelles Führungstor

Dies war vor allem deswegen verwunderlich, weil Albaner bei dieser Europameisterschaft anderes gewohnt waren. Im ersten Spiel gegen Italien hatte ausgerechnet Italienlegionär Nedim Bajrami (Sassuolo Calcio) genau zu diesem Zeitpunkt das schnellste Tor der EM-Geschichte erzielt.

Was konnte man also von der albanischen Mannschaft gegen Kroatien nach der knappen 1:2-Niederlage zum Auftakt gegen Italien erwarten? Eine sehr klare Antwort auf diese eher schwammige Frage hatte der frühere Bundesligastürmer Igli Tare parat. „Ich erhebe nur einen Anspruch“, sagte er vor der Partie der „Süddeutschen Zeitung“: „Unsere Mannschaft muss Hunger zeigen – und die Bereitschaft, auf dem Rasen für das Trikot sterben.“

Diesmal war es Quasim Laci, der ein schnelles Tor schoss

Die gute Nachricht: Kein Spieler – weder aus Albanien noch aus Kroatien – hielt sich wortwörtlich an Tares Forderung. Abgesehen von dem einen oder anderem Zipperlein konnten alle eingesetzten Akteure das Spielfeld lebend verlassen.

Auch Quasim Laci, der das Kunststück fertigbrachte, mit gerade einmal 1,73 Metern die erste Tormöglichkeit per Kopf zur erneut frühen Führung für Albanien zu verwandeln. 1:0 nach zehn Minuten für den Fußballzwerg, der erst das zweite Mal überhaupt bei einer Europameisterschaft dabei ist – wer hätte das (außer vielleicht Igli Tare) gedacht?

Kroaten hatten vormittags in Hamburgs Innenstadt gefeiert

Sicherlich nicht die Zehntausende aus Kroatien, die noch am Vormittag fröhlich singend und feiernd durch Hamburgs Innenstadt und St. Pauli gezogen und nun plötzlich ganz ruhig waren. Daran änderte sich auch nichts nach den ersten beiden Halbchancen durch den ohnehin in der Kritik stehenden Marcelo Brozovic (20.) und Bruno Petkovic (26.).

Noch ein Kopfball in der Nachspielzeit hüben (durch Rej Manaj), eine Kopfballchance in der Nachspielzeit drüben (durch Petkovic), dann machte der französische Schiedsrichter François Letexier vorerst Schluss. Das Zwischenfazit nach 45 unterhaltsamen Minuten: Albanien eher hui, Kroatien, immerhin zweimal im Halbfinale bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften, ziemlich pfui.

Auch in der zweiten Halbzeit spielte Kroatien lange schwach

Wer im zweiten Durchgang nun aber ein wütendes Anlaufen der Kroaten erwartet hatte, der wurde zunächst enttäuscht. Lediglich ein zu unplatzierter Schuss des eingewechselten Luka Susic (50.) – das war es dann aber auch über lange Strecken der zweiten Hälfte mit den hoch gehandelten Balkan-Ballkünstlern.

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Erst als der rot-weiße Supergau zum Greifen nahe war, drehte Kroatien plötzlich doch noch auf. Zunächst war es Hoffenheims Geburtstagskind Andrej Kramaric (33), der eine Vorlage vom früheren St. Paulianer Ante Budimir zum 1:1 verwandelte (74.). Wenige Sekunden später drehte ausgerechnet Gjasula, erneut nach Vorlage von Budimir, das Spiel mit einem unglücklichen Eigentor komplett (76.).

Was für ein Fußball-Wahnsinn im Volkspark! Es gehört wahrscheinlich zu den Launen dieses so großartigen Sports, dass kurz vor dem kroatischen Doppelpack der frühere HSV-Profi Gjasula eingewechselt worden war, um die albanische Führung zu sichern – und dass der frühere St. Paulianer Budimir schließlich die Wende für Kroatien einleitete.

Albaniens Gjasula sorgte für den finalen Schlusspunkt

Doch das soll es an diesem großartigen Hamburger Fußballnachmittag noch nicht gewesen sein. Die Nachspielzeit war quasi schon abgelaufen, als ausgerechnet – wer sonst? – Gjasula für die letzte Pointe in diesem verrückten Fußballspiel sorge. Mit einem Linksschuss zum 2:2 sorgte er in der fünften Minute der Nachspielzeit für den finalen Schlusspunkt.

Das über lange Zeit schwache Kroatien um Real-Opa Modric (38) muss nun am Montag gegen Italien unbedingt den ersten EM-Sieg, um ein vorzeitiges EURO-Aus zu verhindern. Und Gjasula und Albanien dürfen im Spiel gegen Spanien von einem erneuten Fußballwunder träumen.

„Wenn wir es schaffen, dann wäre das eine Sensation“, sagte Gjasula, kurz bevor er in den Bus einstieg. „Aber im Fußball gibt es ja immer wieder Sensationen.“