Eichsfeld. Der neue „Eichsfelder Sagenschatz“ führt zu geheimnisvollen Stätten und lüftet düstere Rätsel. Wo die Autorin im gesamten Eichsfeld gruselige und bezaubernde Wesen fand:

Wussten Sie eigentlich, wie gruselig es im Eichsfeld sein kann? Und dass sich Dinge zugetragen haben sollen, gegen die der sonntägliche Tatort eine Familienkomödie ist? Da kann man schon ordentlich Gänsehaut bekommen, und es läuft einem kalt über den Rücken. Glaubt man den alten Geschichten, dann galoppierten kopflose Reiter durch die Flur, tanzten Irrwische zur Geisterstunde auf den Feldern und trieb vielerorts der Teufel sein Unwesen.

Andererseits wartet das Eichsfeld mit lieblichen Gestalten und fleißigen Wichtelmännchen auf. Und es gibt viele Orte, an denen davon die Rede ist, dass die Gottesmutter persönlich Wunder vollbrachte und Zeichen gab. Sagen und Legenden ranken sich um fast jedes Dorf und jede Stadt, aber auch um verborgene Orte und geheimnisvolle Stätten. Und nicht wenige Sagen des Eichsfeldes erheben sacht den Zeigefinger und erinnern an Werte und Tugenden. Da geht es um Ehrlichkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, aber auch darum, dass bei Freveln die Strafe oft auf dem Fuße folgt, das Gute wiederum sehr oft Früchte trägt.

Erstmals alle Sagen von Lindau bis Heyerode in einem Buch

Sagen ermöglichen uns heute noch eine wundersame Entdeckungsreise. Auf die ging Silvana Tismer. 308 Geschichten und Begebenheiten trug sie zusammen. Die aber nicht nur aus dem Ober- und Südeichsfeld, sondern auch aus dem Untereichsfeld und dem Südharz. „Der Eichsfelder Sagenschatz“ folgt dem Lauf der Sonne. Auf 248 Seiten beginnt der Leser im Osten des Landstrichs und erlebt spannende Geschichten im Süden, ehe er sich gen Westen und Norden wendet, um wieder fast am Ursprungsort anzukommen.

Der Riese auf dem Sonnenstein ist eine sagenhafte Gestalt im Ohmgebirge.
Der Riese auf dem Sonnenstein ist eine sagenhafte Gestalt im Ohmgebirge. © Silvana Tismer

„Ich war kaum neun Jahre alt, da fiel mir ein Buch in die Hände. Es hieß ,Der Hahn auf dem Kirchturm‘“, erzählt Silvana Tismer. „Dieses Buch voller Eichsfeld-Sagen war für mich wie eine Offenbarung.“ Aber die Zeit meinte es nicht gut mit dem Exemplar. „Zu oft hatten es schmutzige Kinderhände angefasst, ich hatte Tee und Brause darüber gekleckert. Doch immer wieder las ich darin.“

Der Newsletter für Eichsfeld

Alle wichtigen Informationen aus dem Eichsfeld, egal ob Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur oder gesellschaftliches Leben.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Oft fragte sie ihre Eltern, ob sie nicht zu den Orten fahren könnten, wo die Erzählungen spielten. Gern hätten das Vater und Mutter getan, aber es gab noch die DDR und damit das Sperrgebiet. Die Burg Hanstein und die Teufelskanzel waren tabu, der Hülfensberg lag in der Fünf-Kilometer-Zone, Teistungen war so weit weg wie der Mond. „Als ich Ende November 1989 zum ersten Mal die Burg Hanstein mit eigenen Augen sah, war es für mich trotz der dunklen Winterwolken ein so wunderschöner Anblick, dass mir die Tränen kamen. Als ich zum ersten Mal den Hülfensberg erklomm, war ich voller Ehrfurcht vor diesem heiligen Ort“, erinnert sich die gebürtige Heiligenstädterin.

Burg Bodenstein ist Schauplatz mehrerer Sagen. Dort spukt es regelrecht. Wenn nicht der wilde Graf zugange ist, dann wandelt die Ahnfrau durch die Gänge.
Burg Bodenstein ist Schauplatz mehrerer Sagen. Dort spukt es regelrecht. Wenn nicht der wilde Graf zugange ist, dann wandelt die Ahnfrau durch die Gänge. © Silvana Tismer

Mit den Sagen aus dem Obereichsfeld war die Autorin bestens vertraut, daher reizten sie die aus dem Untereichsfeld. Mittlerweile war die Grenze verschwunden. Was es mit dem Graf Isang vom Seeburger See auf sich hatte, war nicht schwer herauszubekommen. Auch, dass der Teufel etwas mit der verdrehten Spitze des Duderstädter Westerturms zu tun hat, war schnell recherchiert. Schwieriger gestaltete sich, was es mit dem „Hecketaler von Bernshausen“ oder dem „Zuckerloch bei Bilshausen“ auf sich hat. Besonders neugierig machte sie ein grauenhafter Ort, die „Mordmühle bei Lindau“. Einmal damit angefangen, ließ sie die Faszination Sage nicht mehr los.

Wie der Westerturm in Duderstadt seine verdrehte Spitze bekam, weiß der Teufel. Wirklich!
Wie der Westerturm in Duderstadt seine verdrehte Spitze bekam, weiß der Teufel. Wirklich! © Silvana Tismer

Inzwischen sind 35 Jahre seit dem Mauerfall vergangen. „Mich hat immer geärgert, dass es kein neues Buch mit dem gesamten Eichsfelder Sagenschatz gab. Da dachte ich mir: Mach es selbst“, erinnert sich Silvana Tismer an die ersten Gedanken, sich ans Werk zu machen. Gesagt, getan. Ein Jahr lang recherchierte sie in alter Literatur, in mitunter 110 Jahre alten Büchern, vor allem im „Sagenschatz des Untereichsfeldes“ von Karl Wüstefeld. Aber das reichte ihr nicht. Es musste jede greifbare Literatur her. Silvana Tismer sprach mit Ortschronisten, Historikern, betagten Eichsfeldern, nahm Kontakt zu Professoren auf und stöberte in Antiquariaten, Bibliotheken und im Internet. „Ich habe viele Tipps und Hinweise bekommen, teils machten sich die Ortschronisten selbst auf die Suche in ihren Beritten.“

Auch interessant

Wichtig sei ihr gewesen, sagt sie, den Orten selbst nachzuspüren, ob es diese noch gibt, was mit ihnen passiert ist. Und gibt es noch Relikte aus längst vergangenen Zeiten? Familie, Freunde und Bekannte unternahmen Abstecher zu gewissen Orten, um dann kurz zu melden, teils mit Beweisfotos, dass es die Stelle noch gibt oder nicht.

Unerwartete Funde und bislang noch unbekannte Erzählungen

Im Buch sind allerdings nicht nur Sagen und Legenden zu finden, die schon bekannt sind. Einige hat Silvana Tismer neu aufgeschrieben, die ihr erzählt wurden. „Zum Beispiel die Sage um den Glockenteich bei der Wendelröder Mühle“, nennt sie ein Beispiel. Als das Manuskript schon im Verlag war, klingelte noch jemand bei ihr an und wartete mit einer Überraschung auf: Jetzt wurde die Identität eines kopflosen Reiters geklärt. „Ich empfehle die Geschichte vom Mord am Talgraben“, gibt sich die Autorin geheimnisvoll. Denn ja, der Verlag machte es möglich, dass auch dieses Rätsels Lösung noch ins Buch Einzug halten konnte.

Der Seeburger See im Untereichsfeld. Hier spielen die Sage um Graf Isang, die über die weiße Jungfrau von Radolfshausen und die Sage vom Hecketaler.
Der Seeburger See im Untereichsfeld. Hier spielen die Sage um Graf Isang, die über die weiße Jungfrau von Radolfshausen und die Sage vom Hecketaler. © Silvana Tismer

Viel mehr möchte sie jetzt aber nicht verraten. Denn wie es mit einem Schatz ist, birgt auch das Buch noch manche Überraschung und „macht hoffentlich neugierig, die sagenhaften Orte im Eichsfeld selbst zu entdecken“, sagt die Autorin. Aber hat sie eine Lieblingssage? „Nein, sie sind alle auf ihre Weise wunderschön.“ Und: Sie sucht weiter und ist für jeden Hinweis auf noch unbekannte Sagen dankbar.

„Der Eichsfelder Sagenschatz“ ist ab sofort im Buchhandel erhältlich und im Klartext-Verlag erschienen. Er kostet 24,95 Euro, die ISBN-Nummer lautet: 9-783837-526363.

Weitere Nachrichten aus dem Eichsfeld